Interview mit Prof. Dr. Rausch zur Bedeutung von Bewegung für das Lernen von Mathematik

Zur Bedeutung der Bewegung für das Lernen von Mathematik

Prof. Dr. habil. Lothar Rausch im Interview

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Rausch, ich freue mich, dass Sie für einige Fragen zur Bedeutung von Bewegung für das Lernen von Mathematik für uns zur Verfügung stehen.

Seit 2012 haben Sie jedes Jahr zusammen mit meinem Vater Gerhard Preiß die beiden wissenschaftlichen Vorträge an den gemeinsame Fachtagungen von Zahlenland Prof. Preiß und der DPFA Akademiegruppe gestaltet. Ich habe es oft so empfunden, dass sich zu diesen Anlässen zwei “Brückenbauer” treffen. Während mein Vater Brücken zwischen Mathematikdidaktik und Neurobiologie gebaut hat, suchen Sie immer wieder den Brückenschlag von den Sportwissenschaften zur Psychologie und zu Inhalten der mathematischen Bildung. Ihrem Vortragsthema “Kognitives Lernen hat Hand und Fuß” für die am 28.9.2017 in Leipzig geplante 7. Fachtagung, die nun leider ohne meinen Vater stattfinden muss, ist die Interdisziplinarität sofort anzumerken.


Sehr geehrte Frau Preiß,

eingangs möchte ich aus einem Brief zitieren, den mir Gerhard Preiß am 04.10.2016 schrieb:

“selten gelingt die Zusammenarbeit zweier Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen über einen ersten Versuch hinaus in Eintracht und fachlicher Ergänzung. Die kollegiale Zusammenarbeit wie bei den fünf Fachtagen ‘Mathematik und…’ von Zahlenland und DPFA mit Ihnen besitzt nicht nur hohen Seltenheitswert, sie ist gelungen durch inhaltlichen Reichtum, praktische Originalität und gelebtes Engagement. Offensichtlich wurde von den Teilnehmern auch Abwechslung und Ergänzung geschätzt – bei gemeinsamen Zielen…. ”

 

Herr Prof. Dr. Rausch, welcher sportlichen Aktivität gehen Sie nach, um besser rechnen zu können?

Ich laufe regelmäßig, fahre mit dem Rad und treibe Sport in Abhängigkeit von den verschiedenen, besonders meteorologischen Bedingungen. Dabei konzentriere ich mich auf meinen Körper und belaste mich nach seinen Signalen. Dabei habe ich die eine und andere Idee für meine Arbeit und schalte aber auch ab. Ich schätze dabei Entfernungen ab, überschlage den Kalorienverbrauch, ermittle den Belastungspuls sowie den Erholungspuls und vergleiche die Werte, wenn die Belastungsbedingungen es erlauben.

Wie hängen körperliche und geistige Beweglichkeit zusammen?

Hier gibt es vielfältige und gut untersuchte Zusammenhänge. Mit und durch körperlich-sportliche Aktivitäten kommt man auf andere Gedanken und Empfindungen, die scheinbar nichts mit den gerade drängenden „Hauptproblemen“ zu tun haben. Diese zeitweise Entfernung gestattet dann eine andere, häufig entspanntere Sichtweise auf geistige Herausforderungen. Die Tätigkeit des Gehirns wird nachhaltig positiv bei moderater Bewegung beeinflusst, so dass selbst die Bewegung in der Psychiatrie „angekommen“ ist.

Prof. Dr. Rausch im Vortrag am Fachtag “Ein Sinn für Zahlen” 9.10.2014 in Zwickau

Wie unterstützt Bewegung Kinder dabei, zählen und rechnen zu lernen?

Bewegung, Spiel und Sport „leben“ von Zahlen, Größen und Mengen. Auf der einen Seite sind entsprechende Handlungen an das Zählen und das Rechnen anforderungsseitig gebunden. Wenn man Leistungen vergleichen möchte, dann braucht man ganz einfach die entsprechenden Werte und Normen, mit denen man ganz variabel umgehen kann. Auf der anderen Seite wird das Aneignen von mathematischen Kompetenzen durch Bewegungen auf vielerlei Weise gestützt. Diese Stützfunktionen oder ergänzende Funktionen erleichtern den Zugang zu Zahlen und zum Rechnen enorm.

Welche weiteren Kompetenzen bilden Kinder aus, wenn sie Zahlen durch Bewegung lernen?

Kinder entwickeln ein besseres räumliches Vorstellungsvermögen, sie erhalten verbesserte kognitive Landkarten. Sie können aus meiner Sicht besser Misserfolge ausgleichen, die durch rein „verkopftes“ Lernen von mathematischen Sachverhalten bekanntlich leicht entstehen. Kinder demonstrieren ein „Ich kann“. Sie lernen Perspektivenwechsel – durch Vergleiche mit anderen und Vergleiche mit sich selbst und das geht in erster Linie über Bewegung. Die Bewegungskoordination verbessert sich, Kinder werden ganzheitlich im wahrsten Sinne des Wortes angesprochen.

Prof. Dr. Rausch im Vortrag am Fachtag “Ein Sinn für Zahlen” 9.10.2014 in Zwickau

Inwiefern profitieren auch Grundschullehrkräfte davon, wenn sie Bewegung im Mathematikunterricht integrieren?

Kinder haben in diesem Alter naturgemäß einen großen Bewegungsdrang. Die Integration von Bewegung führt zu Lernerfolgen eigener Art, Kinder reagieren besser ab und lernen den Wechsel von Anspannung und Entspannung. Unterricht macht mit körperlicher Bewegung einfach mehr Freude und gestaltet sich abwechslungsreicher, kognitiv intensiver. Die Wirkungen von Bewegung auf die Aneignung mathematischer Kompetenzen ist wissenschaftlich gut belegt und erhöht sich, wenn darüber hinaus die Fantasie beispielsweise wie durch das „Zahlenland“ angeregt wird.

Prof. Gerhard Preiß (links) und Prof. Dr. Lothar Rausch (rechts) am Fachtag “Ein Sinn für Zahlen” am 9.10.2014 in Zwickau

Sie haben fünf Fachtage gemeinsam mit Gerhard Preiß gestaltet. Welche „Botschaft“ von Gerhard Preiß ist Ihnen vor allem im Gedächtnis geblieben?

Die wichtigste Botschaft war, bei allen didaktischen Bemühungen vom Kinde aus zu denken. Die Berücksichtigung kindlicher Entwicklungsprozesse bei der Vermittlung mathematischer Kompetenzen mit und durch anregende Kontexte – siehe Zahlenland in seinen verschiedenen Facetten – ist für mich einmalig auch durch die inhaltliche Geschlossenheit und thematische Konsequenz. Das kindgemäße Design, die Originalität, der anregende Charakter und die liebevolle Detailgestaltung der Produkte von Zahlenland sind beeindruckend. Der Nachweis des didaktischen „Sinns“ mit Hilfe von Untersuchungen zur Wirksamkeit des gelebten Zahlenlandes können sich ebenfalls sehen lassen.

Vielen und sehr herzlichen Dank an Prof. Gerhard Preiß und sein Team.


Über Prof. Dr. habil. Lothar Rausch

Die wissenschaftlichen Arbeiten von Prof. Dr. Rausch behandeln Aspekte im Grenzbereich von Sportwissenschaften und Psychologie sowie sportdidaktische Fragen in der Einheit von Bildung und Erziehung.  Prof. Dr. Rausch wurde an die Hochschule Fresenius für den Transfer bewegungswissenschaftlicher Grundlagen in den Bereich der Ergotherapie berufen.

Heute ist Prof. Dr. Rausch im Ruhestand und als freiberuflicher Dozent für didaktisch-methodische Fragen der Psychomotorik mit Kindern in der Lehrerfortbildung im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus sowie in der Aus- und Weiterbildung im Auftrag der  Einzelfallhilfe Rausch und weiteren Instituten der beruflichen Weiterbildung tätig.


Gabi Preiß, August 2017

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