Interview mit Florian über seine Mathestunde – Mathematik mit Florian
In meinem Beitrag ‘Die Zahlen warten schon auf mich’ habe ich schon einen allgemeinen Bericht zur mathematischen Förderung von Kindern und Jugendlichen mit dem Down-Syndrom anhand des Konzeptes Zahlenland verfasst. An dieser Stelle möchte ich Euch von den Mathestunden mit Florian berichten. Auch ein kleines Interview mit Florian folgt am Ende dieses Beitrags.
So ging es los
Nachdem wir uns zunächst zum Kennenlernen vorab getroffen hatten, habe ich ab März 2011 wöchentlich zu einer Mathestunde (60 Min.) mit Florian getroffen. Zu Beginn war Florian 14 Jahre alt und besuchte eine Hauptschule.
Material und Methodik
- 2011 Beginn nach den Vorlagen aus dem Leitfaden Zahlenland 1 von Prof. Gerhard Preiß, Verlaufspläne für die Lerneinheiten 1 bis 10 der »Entdeckungen im Zahlenland«.
- Zunächst Wohnungen der Zahlen Eins bis Fünf in kleinem Format (Platzdeckchen) mit den Materialien zum Zahlenland.
- Da ich zunächst selbst den Kenntnisstand von Florian kennenlernen wollte, habe ich den Verlauf und die Inhalte der Stunden entsprechend angepasst.
- Relativ zügig haben wir uns mit geraden und ungeraden Zahlen beschäftigt. Insbesondere stellten wir fest, dass man z.B. gerade Anzahlen gerecht an zwei Personen aufteilen kann. Bei ungeraden Anzahlen können wir nicht gerecht aufteilen.
- Den Zahlenraum von Eins bis Zehn haben wir mit Hilfe des Zahlenwegs erfasst und alle Übungen aus dem Leitfaden durchgeführt. Später wurde der Zahlenweg bis 20 erweitert.
- Ab 2012 sind wir nach den Vorlagen aus den Leitfäden zum “Zahlenland für die Grundschule” von Prof. Preiß vorgegangen. Auch hier angepasst, da die darin genannten Vorschläge für Schulklassen vorgesehen sind.
- Parallell begannen wir mit der schriftlichen Addition auch großer (z.B. sechstelliger) Zahlen.
- Übungen zur Zahlzerlegung mit Stabfiguren waren lehrreich und auch unterhaltsam.
- Im Jahr 2013 haben wir die Abklatschmuster aus dem Zahlenland für die Schule eingeführt. Diese setzen wir auch heute noch oft ein.
- Ende 2013 haben wir das Einmaleins eingeführt (Erweiterung des Zahlenwegs bis 100), sowie uns mit dem Thema Geld beschäftigt.
- Ab 2014 besuchte Florian eine Schulklasse an einem Berufskolleg für Wirtschaft und Verwaltung.
- Seit 2015 hat Florian eine Anstellung in einem Fachlabor für Zahntechnik
Steinchenspiele zur Simultanerfassung
Als Besonderheit machen wir zu Beginn jeder Stunde Steinchenspiele zur Simultanerfassung. D.h. ich lasse eine gewisse Anzahl Steine (weiße Glassteine) auf ein Tuch fallen und Florian soll möglichst schnell sagen, wie viele es sind. Bei unseren ersten Treffen habe ich maximal fünf Steine fallen lassen und Florian hat ein und zwei Steine sehr schnell erkannt. Bei drei Steinen dauerte es etwas länger. Größere Anzahlen ermittelte er durch abzählen. Als ich nach einigen Wochen sieben Steine fallen ließ, schob Florian z.B. drei beiseite und ermittelte den Rest durch weiterzählen. Manchmal lege ich auch gezielt Muster oder Strukturen mit den Steinen. Bis heute machen wir diese Übungen zu beginn jeder Stunde. Allerdings nutzen wir eine größere Menge. manchmal sind es 12 oder 13; manchmal auch 20. Florian antwortet auch bei diesen großen Anzahlen nun meist so schnell wie ich. Denn natürlich darf Florian auch für mich Steine fallen lassen oder Muster legen. Auf dem Foto:
Sieben Steine! Drei mal Zwei und einer!
Aufgrund des Erfolges haben Florian und ich die Übungen und Spiele für die Publikationen “Ein Sinn für Zahlen” und “Zahlenbecher-Spiele” von Prof. Gerhard Preiß erprobt und Feedback zu der Entwicklung gegeben.
Wichtig ist mir, dass es immer eine gemeinsame Stunde ist. Florian darf auch Aufgaben an mich stellen, Wünsche äußern und den Ablauf mitbestimmen.
Interview mit Florian (August 2015)
“Lieber Florian, seit 2011 treffen wir uns nun schon regelmässig zur Mathestunde. Möchtest Du etwas zu den Mathestunden sagen?”
Ich finde es schön in deinem Unterricht. Ich mag die Zahlen gerne. Malaufgaben mag ich auch gerne. Plus und Minus auch.
“Was hältst du von mir als Lehrer?”
Ich finde es o.k. und du bist nett.
“Gibt es einen Unterschied zwischen dem Matheunterricht in der Schule und dem Unterricht mit mir? Was ist da anders?”
In der Schule wurden keine Spiele gemacht. Darum ist es da auch ein bisschen schwierig. Wir machen hier passende Spiele im Unterricht.
“Damals 2011 haben wir zuerst mit dem Zahlenhaus begonnen. Wir haben die Wohnungen der Eins bis Fünf eingerichtet. Sie bekamen ein Tisch mit Punkten und eine Fahne mit der Ziffer. Die Tische wurden immer größer und später gab es auch die Zahlen bis zur…”
Zehn!
“…im Zahlenhaus.”
Wir hatten dort Türme aus Würfeln und Stäbe für die Zahlen. An die Holzstäbe kann ich mich gut erinnern. Die haben mir besonders gefallen. Die Neun mag ich sehr!
“Wir haben auch Geschichten aus dem Zahlenland gelesen.”
Der Zauberer vom Sechserland und Der Fuchs im Zweierland haben mir besonders gefallen.
“Eine ganze Weile haben wir Übungen auf dem Zahlenweg gemacht…”
Ja, Plus und Minus sind wir gegangen.
Richtig, beispielsweise habe ich gefragt wo du stehst, und wenn es die Vier war, fragte ich als nächstes, wo du bist wenn du zwei Schritte weiter gehst…”
Genau, auf der Sechs!
“Wir haben auch noch andere Aufgaben auf dem Zahlenweg gelöst.”
Ja, das Einmaleins. Zum Beispiel Zweierschritte und Spiele mit dem Bus.
“Ja, die Buslinie Zwei hielt nur bei der Zwei, der Vier, der Sechs, … usw. Wir sind aber nicht nur den Zahlenweg selbst gegangen, sondern hatten auch einen kleinen Zahlenweg auf dem Tisch mit einer Spielfigur. Was hat dir besser gefallen? Der Zahlenweg auf dem Boden oder der kleine Zahlenweg auf dem Tisch.”
Ich kann mich gut erinnern. Selber gehen ist besser, da weiss ich besser wo ich bin. Da kann ich nicht so schnell etwas verwechseln. Auf dem Tisch war aber auch gut.
“Seit Beginn unserer Treffen machen wir auf der schwarzen Matte Spiele mit weissen Steinchen.”
Ja, wir gucken wie viele es sind.
“Genau. Als wir damals anfingen habe ich zunächst nur kleine Mengen auf die Matte fallen lassen, da du diese zunächst erkennen konntest. Wenn es beispielsweise wie hier schon sieben waren…”
Das sind sechs!
“Oh, ja tatsächlich habe ich jetzt nur sechs hierhin gelegt. So noch einer dazu dann haben wir sieben Steinchen. So eine Anzahl hast Du damals noch durch Abzählen ermittelt. Jetzt bist du genau so schnell wie ich im erkennen von großen Anzahlen.”
Jaaa! Ich bin Profi!
“Da du nun Anzahlen gut und sicher erkennst, kannst Du auch sehr gut rechnen.”
Ja, genau!
“Hast Du schonmal jemanden erzählt, was wir in der Mathestunde machen?”
Mama erzähle ich gerne was wir machen.
“Du hast viele Freunde und kennst viele Menschen. Würdest Du jemanden der Probleme mit Mathematik hat von unseren Stunden erzählen?”
Ja, aber die mögen kein Mathe.
“Als ich dich kennengelernt habe warst du in der Hauptschule, dann bist du in das Berufskolleg gegangen und nun hast du eine Arbeitsstelle. Wurdest du dort gefragt ob du Mathematikkenntnisse hast?”
Nein, aber ich kenne mich gut mit dem Computer aus und dort wird damit gearbeitet. Da muss ich auch viele Zahlen eingeben. Im Berufskolleg hatte ich Datenverarbeitung. Da bin ich auch Profi drin. Aber Mathe brauche ich auf jeden Fall.
“Du arbeitest in einem Fachlabor für Zahntechnik. Kannst du kurz erklären, welche Aufgaben du dort hast?”
Ich muss die gemachten Modelle scannen, Abdrucklöffel sauber machen, Kunststoff von Abdrücken abmachen. Ich gebe Daten in den Computer ein: Zahnarzt, Patienten, Techniker, Zahnstatus und dann erst scannen. Und meine Mitarbeiternummer muss ich eingeben. Das ist ganz einfach.
“Möchtest du noch etwas zum Abschluss sagen in Bezug auf unsere Mathestunden?”
Ich finde es schön. Mathe möchte ich immer weiter machen.
“Hast Du denn noch Wünsche, welches Thema in den Mathestunden noch drankommen soll?”
Ja, alles. Ich möchte alles machen. Egal mit welchem Thema. Egal wie kompliziert. Wir schaffen das schon. Prozent möchte ich auch noch!
“Danke für das Interview und bis bald.”
Ich freue mich auf unser nächstes Treffen.
Jörg Finke
Hinweis: Zum besseren Verständnis wurden Florians Antworten sprachlich (nicht inhaltlich) überarbeitet.
Links zur Literatur
- Das Zahlenland im Kindergarten (Zahlenland 1 und 2)
- Geschichten aus dem Zahlenland 1 bis 10
- Das Zahlenland in der Schule (Zahlenland 3)
- Der Geldhase
- Neurodidaktik, Theoretische und praktische Beiträge
- Ein Sinn für Zahlen
- Zahlenbecher-Spiele
Weitere Informationen
Das Projekt Entdeckungen im Zahlenland können Sie in unseren eintägigen Fortbildungen “Basisseminar Zahlenland” und “Aufbauseminar Zahlenland” kennenlernen: Seminarkalender.
> Download der Infobroschüre: Broschüre Jede Zahl ein Freund (PDF)
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